Peter Frankopan

Licht aus dem Osten

Die Wiege der Zivilisation liegt nicht im antiken Griechenland, sondern im Mittleren Osten. Und dessen Einfluss auf die Weltgeschichte wurde bisher unterschätzt oder jedenfalls zu wenig wertgeschätzt. Diese Ansicht vertritt der britische Historiker Peter Frankopan, und darum schreibt er in Licht aus dem Osten die Weltgeschichte neu, konsequent unter Einbezug des Nahen und Mittleren Ostens. Überzeugend und stringent zeigt er auf, wie diese Region als Achse zwischen Atlantik (Nordafrika) und Pazifik (China) Jahrhunderte lang das Epizentrum der Menschheit bildete. Viele zivilisatorische Errungenschaften stammen von hier: Schrift, Mathematik, Landwirtschaft, Städtebau. Wer nach Einfluss und Reichtum strebte, den zog es gen Osten: Händler, Religionsgründer, Kriegsführer, Weise und Wahnsinnige. Reiche stiegen auf, zerfielen wieder. Vor allem die Phasen, die eine Koexistenz verschiedener Religionen, Gebräuche und Sprachen erlaubten und förderten, gelangten zur wirtschaftlichen Blüte. Und Europa? Blieb unbedeutend und wenig innovativ bis weit über die Zeitenwende hinaus. Erst ab dem 15. Jahrhundert n.Chr. (Kolumbus!) gewann der Kontinent an Statur, angeführt von Spanien, abgelöst von Britannien mit seinem Empire, im 20. Jahrhundert dominiert von den Grossmächten USA und Sowjetunion.

Wie Frankopan die Weltgeschichte mit Recht zurecht rückt, ist erfrischend und augenöffnend. Dass er die Leistungen des Mittleren Ostens aus dem dunklen Ungefähren ans Licht holt und dessen Verdienste zur Entwicklung der Zivilisation verdeutlicht: das kommt heutzutage schon fast einem politischen Statement gleich. Seine These untermauert er mit vielen Fakten, die er mit ungeheurem Fleiss zusammengetragen hat: allein der Apparat umfasst über 100 Seiten.

Briten haben eine Begabung, Sachbücher spannend wie Kriminalromane zu schreiben. Neil MacGregor zum Beispiel tat es (Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten), Frankopan tut es, würzt mit anschaulichen Details,  stürzt sich nicht nur auf Schlachtfelder, sondern begleitet auch in den Alltag, der allemal so interessant ist wie das Hauen und Stechen. Manche Kapitel beendet er mit regelrechten Cliffhangern, die hungrig weiterblättern lassen. Aber selbst glänzend geschrieben sind 5000 Jahre Menschheitsgeschichte keine leichte Kost, wirken sogar deprimierend, gelangt man mit Frankopan zur Einsicht, dass der Motor allen Fortschritts nicht Forscherdrang, Erkenntniseifer oder Wissensdurst war, sondern – Gier. Die schiere Habgier nach Gütern und Bodenschätzen, nach Pferden, Seide und Gewürzen, nach Sklaven, seit dem 20. Jahrhundert auch nach Rohöl, Erdgas, Kohle. Frankopans Weltgeschichte ist somit auch eine der Ausbeutung, die einhergeht mit Machtausübung und Machtmissbrauch, die (Glaubens-)Kriege, Krisen und Katastrophen evoziert. Als Metapher dient ihm die  "Seidenstrasse", The Silk Roads, wie der Originaltitel heisst. Diesen "Strassen" entlang komponiert er sein Buch, zwar chronologisch erzählt, aber thematisch akzentuiert. Im englischen Original atmen die Kapiteltitel sogar einen Hauch Poesie: "Road of Faiths", "Road to Hell", "Road to Heaven". Die deutsche Übersetzung von Michael Bayer und Norbert Juraschitz verzichtet auf diese Wortspiele, was inhaltlich vielleicht präziser ist – aber auch prosaischer. Maya Doetzkies

Klappentext:

Peter Frankopan kehrt die gewohnte Perspektive um: Der Nahe und Mittlere Osten, und nicht etwa Europa, gab über Jahrtausende den Takt der Weltgeschichte vor. Hier entstanden die ersten Hochkulturen und alle drei monotheistischen Weltreligionen – ein Reichtum an Gütern, Kultur und Wissen, der das Alte Europa seit jeher sehnsüchtig nach Osten blicken liess. Frankopan erzählt von Alexander dem Grossen, der Babylon zur Hauptstadt seines neuen Weltreichs machen wollte; von Seide, Porzellan und Techniken wie der Papierherstellung, die über die Handelswege der Region Verbreitung fanden; vom Sklavenhandel mit der islamischen Welt, der Venedig im Mittelalter zum Aufstieg verhalf; von islamischen Gelehrten, die das antike Kulturerbe pflegten, lange bevor Europa die Renaissance erlebte: von der Erschliessung der Rohstoffe im 19. Jahrhundert bis hin zum Nahostkonflikt. Schliesslich erklärt Frankopan, warum sich die Weltpolitik noch heute in Staaten wie Syrien, Afghanistan und Irak entscheidet.

Peter Frankopan schlägt einen weiten Bogen, und das nicht nur zeitlich: Er rückt zwei Welten zusammen, Orient und Okzident, die historisch viel enger miteinander verbunden sind, als wir glauben. Ein so fundiertes wie packend erzähltes Geschichtswerk, das wahrhaft die Augen öffnet.

Über die Autorin / über den Autor:

Peter Frankopan, geboren 1971, zählt zu den profiliertesten Historikern Grossbritanniens. Er ist Leiter des Zentrums für Byzantinische Studien an der Universität Oxford und lehrte als Gastdozent unter anderem an den Universitäten Cambridge, Harvard, Yale und Princeton. Als Experte für die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens äussert sich Frankopan regelmässig in der nationalen und internationalen Presse – auch zu den aktuellen Entwicklungen in der Region.

Preis: CHF 28.90
Sprache: Deutsch (aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2017 (2015)
Verlag: Rowohlt
ISBN: 978-3-87134-833-4
Masse: 941 S.

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