Enrica Aragona

Sangue sporco

Mit dem Roman Sangue sporco schreibt die römische Schriftstellerin Enrica Aragona die Geschichte einer gescheiterten Jugend in einem Neubauquartier am südlichen Rande Roms. Es sind die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die aus klobigen Wohnblocks bestehende Wohngegend mit wenig Infrastruktur und Grün hat, wie so oft bei schäbigen Bauprojekten, einen blumigen Namen: Isola nuova, die neue Insel. In diesem Quartier begegnen sich 1978 die zwei Hauptfiguren des Romans: die Ich-Erzählerin Scilla und ihre zukünftige Freundin Renata. Beide sind zu dieser Zeit noch Kinder. Scilla wird später als junge Erwachsene Renata und diese Wohninsel, die nicht nur für sie, sondern für alle Bewohner ein kalter und anonymer Ort ist, verlassen.

Das Buch hat mich in die Zeit um 1980 zurückgeführt. In Zürich sah ich das Drogenelend am Platzspitz. In Sangue sporco beschreibt die Autorin, wie Armut, Auswegslosigkeit und fehlende familiäre Wärme Renata in die Drogensucht treiben. Auch Scilla, die zuerst in mädchenhafter Freundschaft und dann mit sexuellem Begehren Renatas Nähe sucht, kann ihre Jugendliebe nicht retten. 

Die Beziehung zwischen diesen unterschiedlichen Jugendlichen steht im Fokus des Geschehens. Aragona beschreibt in einer ungekünstelten, aufrichtigen Sprache die Innenwelt, die Gefühlsmomente und die Handlungen der beiden Figuren. Sie schildert präzise die hässliche und deprimierende Umgebung, in der Scilla, Renata und die anderen Jugendlichen aufwachsen. In der trostlosen Siedlung sind die Männer und Väter labil. Selbst vom Leben enttäuscht und überfordert, sind sie oft unfähig, Verantwortung zu übernehmen. Die Frauen, fast alle Mütter, altern schnell unter der Last des schwierigen Alltags. Scilla und Renata sind auf sich selbst gestellt und, obwohl in einer komplizierten Freundschaft verbunden, beide einsam. Umso mehr bewundere ich die Kraft und den Mut der jungen Scilla, die dank eines Schulabschlusses und einer Anstellung aus dem Elend herausfindet. 

Wir gelangen so zum anderen Teil der Geschichte, die im Heute spielt. Scilla hat sich hochgearbeitet, hat neue Freunde und eine Tochter. Serena ist sieben Jahre alt, fröhlich und neugierig. Manchmal fragt sie ihre Mutter, wer denn ihr Vater sei. Man merkt: Das Leben ist für Scilla besser aber nicht unkomplizierter geworden. Die Schilderung des Alltags von Angestellten und alleinerziehenden Müttern ist sehr glaubhaft. In der Figur der erwachsenen Scilla erkenne ich das heutige Italien der kleinen Leute. Sie kümmern sich fürsorglich um ihre Kinder und versuchen, anständig über die Runden zu kommen. Die Autorin hat eine Gehör für sie. In den Dialogen trifft sie den richtigen Ton. Sie beobachtet differenziert und einfühlsam. Enrica Aragona hat nicht wie Elena Ferrante ein episches Fresko einer Frauenfreundschaft im Italien der Nachkriegszeit geschrieben. Der Roman Sangue sporco ist ein schlichtes und authentisches Portrait einer jungen Frau, die als Mädchen in eine schwierige Freundschaft verwickelt ist und sich als junge Erwachsene schmerzvoll befreit. Aragona erzählt die lesenswerte Geschichte einer Befreiung aus Armut und Abhängigkeit. Angela Willimann

Klappentext:

Roma, fine anni Settanta: un quartiere appena nato che confina con l'inferno, il sogno della casa popolare che diventa subito incubo. Scilla ha quattro anni quando, sul volto di suo padre, vede disegnarsi la rabbia per la vita che li attende. Ma in un luogo dove ognuno ha un dolore a cui sopravvivere, in uno spazio di abbandono che contamina chi ci vive fino a distruggerlo, c'è anche Renata. Ed ecco che quello spazio si dischiude, poco a poco, e quei palazzoni fatiscenti diventano lo scenario in cui nasce e cresce un rapporto fatto di amicizia, desiderio e paura, un rifugio in cui Scilla e Renata si nascondono da una realtà dove nei vasi fioriscono le siringhe e il riscatto si porta sempre dietro la colpa. Perché dove non ci si può permettere di sognare, la vita corrode ogni legame, separa i destini, allontana le persone. Ma lascia, comunque, la speranza di potersi salvare. Il primo romanzo, intenso e potente di una nuova voce italiana.

Über die Autorin / über den Autor:

Enrica Aragona lavora in un'azienda farmaceutica e scrive da sempre, soprattutto racconti che sono stati pubblicati in varie antologie. Tra i suoi romanzi: Sangue sporco (Corbaccio, 2019).

Preis: CHF 30.10
Sprache: Italienisch
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2019
Verlag: Corbaccio
ISBN: 978-88-6700-586-4
Masse: 283 S.

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