Nicolas Mathieu

Wie später ihre Kinder

In vier Kapiteln – alle zwei Jahre im Juli, von 1992 bis 1998 – beschreibt Nicolas Mathieu das Leben in Heillange, einer kleinen Stadt in Lothringen, nahe der luxemburgischen Grenze. Im Zentrum stehen Anthony, Hacine und Stephanie. Alle sind sie im Teenageralter, alle leiden sie unter der unglaublichen Langeweile, die in dieser strukturschwachen, nach dem Zusammenbruch der ansässigen Industrie von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Drogenkonsum geprägten Gegend herrscht. Immer wieder kreuzen sich über die Jahre hinweg ihre Wege, ohne dass sie wirklich miteinander zu tun hätten. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Milieus – Arbeitermilieu, neue Elite, Immigrantenfamilie aus Marokko –, deren Lebensräume sich eigentlich nur in Ausnahmesituationen kreuzen. So sind auch ihre Begegnungen mit einer stetig wachsenden Spannung aufgeladen und geraten meist zur Katastrophe.

Sehr sorgfältig beschreibt Mathieu die Sehnsüchte dieser jungen Menschen, deren Frustrationen, Ängste, Träume – und deren Wut. Die Beschreibung der Motorradfahrten von Anthony graben sich beim Lesen ein. So auch die Schilderungen der Unfähigkeit zur Kommunikation, des sich Unwohlfühlens in der eigenen Person, im eigenen Körper, des Erwachsenwerdens und des Resignierens. Neben den Jugendlichen und deren Familien beschreibt Mathieu auch die Entwicklung der Region Lothringen – von einer Industrieregion mit Arbeitergewerkschaften zu einer Dienstleistungsregion, die auf Konsum und Krediten basiert.

Es ist ein intensives Leseerlebnis, das einen traurig zurücklässt. Die Perspektiven für die Protagonisten sind denkbar schlecht, ein Ausbruch aus den eigenen Familientraditionen scheint fast unmöglich – offen bleibt eine ungestillte Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Sinnhaftigkeit. Ein sehr lesenswertes Buch! cn

Klappentext:

Ein Ort in der Provinz, im Osten Frankreichs. Stillgelegte Industrie. Unerträgliche Hitze. Eine Gruppe Jugendliche, ohne viel zu tun, die ihre Sexualität entdecken, Bier trinken, Moped fahren oder dealen. Langeweile. Konflikte mit und zwischen den Eltern. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Nicolas Mathieu schreibt über die am Rande Liegengelassenen.

Über vier Sommer begleitet Wie später ihre Kinder Anthony, Hacine und ihre Freunde beim Erwachsenwerden in einer Welt der Reihenhaussiedlungen und Durchschnittsstädte – einer Welt, in der ihnen nichts geschenkt wird und an der sie dennoch hängen. Ein grosser Gesellschaftsroman über das vergessene Frankreich der 1990er, voller Leben und erzählerischer Kraft.

Hier eine Rezension aus der Süddeutschen Zeitung.

Über die Autorin / über den Autor:

Nicolas Mathieu wurde 1978 in Épinal geboren und lebt in Nancy. Sein erster Roman erschien 2014 unter dem Titel Aux animaux la guerre (dt. Den Tieren der Krieg) und wurde für das Fernsehen adaptiert. Wie später ihre Kinder wurde 2018 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

Preis: CHF 17.90
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Lena Müller und André Hansen)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2021 (2019)
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-31575-3
Masse: 445 S.

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