Marie-Hélène Lafon

Die Quellen

Vom ersten Satz an erlebt man die in der Anfangsszene herrschende Gewalt. Eigentlich wäre es idyllisch, ein Bauernhof in einem abgelegenen Tal, ein von Sonne durchfluteter Garten, in dem die drei Kinder spielen, ein Ehepaar, das sich der Bewirtschaftung des gemeinsamen Hofes widmet. Doch dass die Idylle trügt, wird immer klarer.

Der kurze Roman von Marie-Hélène Lafon spielt im Cantal, in der Auvergne. Landwirtschaft prägt die Region, Menschen, die in Traditionen und Konventionen verhaftet versuchen, sich ihr Leben mit dem Bewirtschaften der Natur zu verdienen. Da bleibt nicht viel Zeit für das eigene Befinden, da stehen die Pflichten und die Notwendigkeiten an erster Stelle. Doch der Ich-Erzählerin verunmöglicht immer mehr die Angst vor ihrem Ehemann und die Angst um ihre Kinder das Funktionieren in dieser Welt.

Lafon gelingt es auf eindrückliche Weise im Nichtgesagten und in den Leerstellen, diese Angst zu vermitteln. Sie schafft es aber auch, zumindest eine Idee davon weiterzugeben, woher die Wut des Ehemannes kommt. Denn ihr geht es um die Quellen, die alle unsere Leben nähren. Ein beeindruckender und berührender Text! cn

Klappentext:

Ein abgelegener Hof in der Auvergne, wo Kühe grasen und Milch für den berühmten Käse Saint-Nectaire geben. "Man ist hier am Ende der Welt. Niemand kommt vorbei, ausser dem Briefträger, dem Viehhändler oder dem Tierarzt." Draussen hängt Wäsche, die drei Kinder klettern auf Bäume, und die junge Frau – sie wird von ihrem Mann verprügelt. Immer am Samstag. Seit neun Jahren. Niemandem kann sie es sagen, selbst wenn sie ihr Leben kaum aushält und auch die Kinder die Beklemmung spüren. Der Hof, den sie gemeinsam mit ihrem Mann nach der Hochzeit gekauft hat, ist zum Gefängnis geworden. Denn mit einer Scheidung, so weiss sie, steht die ganze Existenz auf dem Spiel.

Anhand einzelner weniger Tage, die sich von 1967 bis ins Heute erstrecken, erzählt der Roman von einer Frau, die lange leidet und plötzlich aufbegehrt, und von einem Bauern, dem nur der Hof wichtig ist. Die körperlichen wie auch seelischen Härten eines Daseins in dieser von Landwirtschaft geprägten Gegend werden greifbar, wo eine Familie zerbricht – und doch auch ein Wunder geschieht. Das Wunder, dieser rohen, emotionsarmen Welt entkommen zu sein und heute als Schriftstellerin in Paris zu leben.

Über die Autorin / über den Autor:

Marie-Hélène Lafon, 1962 geboren, lebt heute in Paris. Die meisten ihrer rund fünfzehn Bücher, die vielfach übersetzt wurden, spielen im Cantal in der Auvergne, wo Lafon aufgewachsen ist. Sie gehört zu den markantesten literarischen Stimmen im gegenwärtigen Frankreich. 2016 erhielt sie den Prix Goncourt de la Nouvelle, 2020 den Prix Renaudot. Auf Deutsch liegen Die Annonce, Geschichte des Sohnes und Joseph vor, alle übersetzt von Andrea Spingler. 

Preis: CHF 28.00
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Andrea Spingler)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2024 (2023)
Verlag: Atlantis
ISBN: 978-3-7152-5035-9
Masse: 128 S.

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