Alki Zei

Die Verlobte des Achilles

Eine grossartige Entdeckung! Alki Zeis autofiktionaler Roman Die Verlobte des Achilles hat mich von der ersten Seite an gepackt. Alki Zei weiss, wovon sie spricht. Ein kluger, ehrlicher, informativer und ausgezeichnet komponierter und mitreissend geschriebener Roman über das mehrfache Exil einer griechischen Widerstandskämpferin und ihrer Genoss:innen. Die Erfahrung des Exils ist ungeschminkt spür- und sichtbar. Unweigerlich stellt sich beim Lesen die Frage: Wieviele Menschen sind mir, sei es hier oder auf einer Griechenlandreise, begegnet, die solche Geschichten in sich trugen, und ich hatte keine Ahnung davon?

Die Griechin Dafni alias Eleni ist zweiundvierzig Jahre und vier Monate alt und musste erneut den Schritt ins Exil tun, nachdem das Militär 1967 geputscht hatte und Menschen wie sie erneut verfolgten. Sie war erst 1964 aus ihrem Exil aus der Sowjetunion nach Griechenland zurückgekehrt. Nun lebt sie mit ihrer Tochter Dafnoula in Paris und arbeitet zusammen mit anderen griechischen Exilanten als Statistin in einem Actionfilm namens Zug des Grauens. Ihre Aufgabe besteht darin, aus dem Fenster zu schauen, sie hat keinen Text zu sprechen. Sie ist stumm. Es ist ein Sinnbild für die Situation dieser Generation, die gegen die nazi-deutsche und englische Besatzung und schliesslich im Bürgerkrieg gekämpft hatte und nun abseits stand, falls sie überhaupt noch lebte. Es ist ein feinfühliges, jedoch nicht idealisierendes Portrait dieser Generation, die sukzessive umgebracht oder ins Exil gedrängt wurde, die zur Zuschauerin wurde, weil andere bereits das Drehbuch geschrieben hatten.

In den Drehpausen schweift sie jeweils in Gedanken ab und reist in ihre Vergangenheit und versucht sich darin zurechtzufinden, die historischen Ereignisse und ihr individuelles, damit verbundenes Schicksal zu reflektieren. Das erste Mal floh sie über Rom in die Sowjetunion, wo bereits ihr Verlobter Zuflucht gesucht hatte. In Rückblenden durchleben wir mit ihr die Zeit in Rom, Paris, Taschkent und Moskau. Auf der Fluchtroute verbrachte sie ein paar Monate in Rom, wo sie sich zum ersten Mal unbekümmert bewegen kann. Bereits als Dreizehnjährige war sie in Kontakt mit dem Widerstand gekommen und von da an war ihr Leben angespannt und einem höheren Ziel gewidmet. Es ist für sie überwältigend, wie das Italien der fünfziger Jahre freier ist als Griechenland. Sie ist überwältigt und fährt doch weiter. Sie fragt sich immer wieder, wann werde ich Entscheidungen treffen und nicht andere für mich? In Taschkent, wo ihr Verlobter mit anderen politischen Flüchtlingen aus Griechenland in einer schäbigen Unterkunft lebt, wird ihr sofort klar, dass sie auch hier nicht frei sein wird. Das Zentralkomitee bestimmt, wer studieren darf, wer in die Fabrik muss, wer nach Moskau reisen darf und wer nicht. Erst mit Stalins Tod beginnen sich die Türen für Veränderungen zu öffnen. Der Roman zeigt die ganze Komplexität der damaligen Linken auf. Die Stärke von Alki Zei ist es, dabei stets das Individuum zu erfassen, auch wenn es grosse gesellschaftliche Zusammenhänge gibt. Ein kleiner Nebensatz erhellt oft einen ganzen sozialen Raum oder einen ganzen Menschen.

Nach der Arbeit geht Dafni alias Eleni oft beunruhigt nach Hause, weiss nicht, wie mit Dafnoula umzugehen. Ihre zwölfjährige Tochter geht in der 68er Bewegung voll auf und empfindet ihre Mutter als spiessig und desillusioniert. Hingegen ist sie stolz auf ihren Vater, der erneut in Griechenland im Gefängnis sitzt, für Dafni alias Eleni ist es jedoch ein immer wiederkehrender Albtraum. Ein grosser Widerstandskämpfer, den darf frau in dieser Stunde nicht verlassen. Aber wann ist es soweit, dass sie sich scheiden lassen kann? Immer wieder tauchen Gründe auf, warum es jetzt nicht geht. Es ist äusserst eindrücklich der Biografie dieser Frau zu folgen. Sie offenbart sehr viel über diese Zeit. Nicht nur für Griechenlandreisende eine must read-Lektüre. Sehr spannend! ap

Klappentext:

Dafni alias Eleni, wie sie unter den Partisanen heisst, verliebt sich in ihren Instrukteur, Achilles. Der Widerstandsheld muss fliehen, seine Verlobte bleibt zurück; sie taucht unter, wird verhaftet, kann trotzdem nach Rom fliehen, Achilles aber erst zwei Jahre später in die Sowjetunion folgen. Doch die Idealisierung des einstigen Helden und der gemeinsamen Ideologie zerbricht am realen Zusammenleben im Exil. Erzählt wird rückblickend aus der Zeit des zweiten Exils in Paris während der Militärdiktatur, wo sich Dafni/Eleni nun mit ihrer Tochter allein durchschlägt. Mit einigen ehemaligen Parteigenossen und Freunden arbeitet sie als Komparsin am Filmset für einen Thriller und versucht in den Drehpausen, mit ihrem früheren Leben und ihren Idealen ins Reine zu kommen.

Erzählt werden jedoch nicht bloss die Ereignisse, sondern auch die dichte Verflechtung politischer und individueller Geschichte, artikuliert von einer weiblichen Stimme, die das tradierte Bild der Geschichte in eine andere Perspektive stellt.

Über die Autorin / über den Autor:

Alki Zei wurde 1925 in Athen geboren und verbrachte ihre Kindheit auf der Insel Samos. Sie studierte Musik, Theater und Literatur in Athen, 1941-1944 schloss sie sich dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer an. Sie floh 1952 vor den Repressalien nach Rom, 1954 in die Sowjetunion, zunächst nach Taschkent, dann nach Moskau. Nach Griechenland konnte sie erst 1964 zurückkehren, musste aber nach dem Militärputsch 1967 erneut ins Exil gehen, diesmal nach Paris. Sie kehrte erst 1981 nach Athen zurück, wo sie bis heute lebt. Zei ist hauptsächlich als Autorin von Jugendliteratur bekannt und hatte gleich mit ihrem ersten autobiographischen Roman Wildkatze unter Glas über ihre Kindheit auf Samos (1966, 1973 ins Deutsche übersetzt von Thomas Nicolaou) einen grossen Erfolg. Es folgten weitere Titel, Zei etablierte sich als wichtige Jugendbuchautorin und wurde wiederholt mit Preisen ausgezeichnet. Doch 1987 überraschte sie mit ihrem wohl grössten Erfolg, Die Verlobte des Achilles, ihrem ersten Roman für Erwachsene, der mittlerweile einen zentralen Platz im politisch-ideologischen Diskurs sowie in der zeitgenössischen Literaturgeschichte  einnimmt.

Preis: CHF 28.60
Sprache: Deutsch (aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand)
Art: Broschiertes Buch
Erschienen: 2018 (1987)
Verlag: Romiosini
ISBN: 978-3-946142-45-4
Masse: 352 S.

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