Ivna Žic

Wahrscheinliche Herkünfte

Wie bewegt man sich in zwei Sprachen? Wie prägt diese Mehrsprachigkeit die Realität, wie formt sie ein Dasein in einem Jetzt, das eben nicht auf dieses Hier und Jetzt beschränkt ist, sondern auch noch weitere Dimensionen in sich trägt? Und wie erinnert oder imaginiert man sich die Geschichte der Eltern, die man nicht selbst miterlebt hat, über die viel geschwiegen wird, und die eben auch ganz anders hätte sein können?

In wunderbaren Sätzen erzählt Ivna Žic von ihren Sprachen – der Schulsprache, der Familiensprache – und wie sich ihre Realität diametral von der offiziellen Schreibweise bezüglich Sprachen in der Schweiz unterscheidet. Und wie schade das ist, wieviel kreatives Potential in genau diesen Brüchen liegt, in diesen Differenzen zwischen den Sprachen, in diesen Lücken. Ein Potential, das beispielsweise im Theaterstück "Gebrochenes Licht" aufscheint.

Nach dem Lesen des Textes macht sich ein Gefühl des in einem festen Kostüm steckengebliebenen Daseins breit. Denn wieviel produktiver wäre es doch, die Regeln und Gesetze den Bedürfnissen der sich in ihnen bewegenden Menschen anzupassen, als die Menschen den Gesetzen und Formalitäten anpassen zu wollen. Bewegung, Vielsprachigkeit, Mobilität und Flexibilität sind die Konstanten, die wir schätzen lernen sollten. cn 

Klappentext:

Wie erzählen von einer Vergangenheit, die wir selbst nicht erlebt haben? Wie und in welcher Sprache erzählen von und über Geschichten, die wir nicht nachempfinden können? Denn wenn wir sprechen, sprechen wir Gegenwart, in der die Vergangenheit aber mitspricht: Wer also verstehen möchte, was er spricht, muss auch die Sprache der Toten verstehen.

Ivna Žic öffnet in ihrer autofiktionalen Reflexion Zugänge zu den völlig unterschiedlichen Welten ihrer beiden Grossmütter und des schweigsamen Grossvaters, in deren Leben sich europäische Geschichte und eine untergegangene Welt spiegeln, die nach wie vor in uns weiterlebt und unser Handeln bestimmt.
In zärtlicher Prosa und mit präzisen Beschreibungen geht Ivna Žic den Spuren ihrer Ahnen nach und eröffnet einen Ort des Wiedererkennens im anderen und des anderen. Diversität ist horizontal und vertikal, diachron und synchron. Žic' Text öffnet sich in einem Durchgang von der Vergangenheit in eine europäische Zukunft, in der sich eine neue, radikale Vielsprachigkeit längst Raum geschaffen hat, und lässt dadurch aus dem Privaten das Politische und aus den neuen Verhältnissen neue Erzählungen entstehen.

Über die Autorin / über den Autor:

Ivna Žic, geboren 1986 in Zagreb, aufgewachsen in Zürich. Studium der Angewandten Theaterwissenschaft, Schauspielregie und Szenisches Schreiben in Giessen, Hamburg und Graz. Als Theaterregisseurin und Dramatikerin schreibt und inszeniert sie u.a. am Theater Neumarkt, Schauspielhaus Wien, Theater Bremen und an den Münchner Kammerspielen. 2019-2022 gehörte Žic zum Leitungsteam des Theater HORA in Zürich und arbeitet weiterhin an Projekten mit dem Ensemble. Für ihren Debütroman Die Nachkommende wurde sie 2019 sowohl für den Österreichischen Buchpreis als auch für den Schweizer Buchpreis nominiert. 2020 erhielt sie den renommierten Anna Seghers-Preis; 2022 den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis. Žic lebt in Zürich und Wien.

Preis: CHF 27.90
Sprache: Deutsch
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: April 2023
Verlag: Matthes & Seitz
ISBN: 978-3-7518-0917-7
Masse: 224 S.

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