Goran Ferčec

Wunder wird es hier keine geben

Bender lebt in einer anonymen Stadt im Westen, in einem anonymen Mietshaus, in einem Exil, das nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich scheint. Wir erfahren, dass er fünfzehn Jahre zuvor aus dem vom Krieg erschütterten Balkan geflohen ist. Doch was er in dieser Zeit gemacht hat, wofür er sich interessiert, wie er ein neues Leben hat aufbauen können, bleibt im Dunkeln. Wir erfahren lediglich, dass er viel Zeit am Türgucker seiner Wohnungstür verbringt, ein sensibles Gehör für Schritte im Treppenhaus hat und das Telefon lieber läuten lässt, als es abzunehmen. Nachdem er auf der Suche nach einem Sex-Partner für die Nacht in einem Park brutal zusammengeschlagen wird und ihn doch ein Anruf seines Vaters erreicht – die Mutter sei verschwunden, der Vater bittet um Hilfe bei der Suche nach ihr – macht er sich auf den Weg nach Kroatien. 

Angekommen im Haus seines Vaters, das Bender seit 15 Jahren nicht mehr betreten hat und auch sonst kaum Kontakt mit seinen Eltern hatte, bleibt die Mutter unerwähnt. Auch sonst haben sich die beiden Männer kaum etwas zu sagen, das über praktische Verrichtungen hinausgeht. Bender erkundet die menschenleere Ödnis des Dorfes, in dem er aufgewachsen ist. Ausser seinem Vater und einem Burschen, dem er immer wieder begegnet, gibt es keine Menschen mehr im Dorf. Die Häuser stehen seit Kriegsende leer, teils zerstört, teils langsam zugewachsen. Die Ödnis des Dorfes und die Eintönigkeit jeden Tages scheint sich über Bender zu legen und alles zu ersticken. Erst nach einiger Zeit erzählt der Vater in einem atemlosen Monolog, was mit dem Dorf geschehen ist.

Der Roman ist in lakonischer Sprache geschrieben. Gesten, Dialoge, Gedanken sind ebenso kurzangebunden und schnörkellos. Als ob Bender ständig neben sich stehen und sich selber beobachten würde, sich auch immer wieder Gedanken darüber macht, was man aus seinen Spuren lesen könnte. Als Lesende fühlt man sich wiederum als Beobachtende eines sich selbst Beobachtenden. Eine Leseerfahrung, die einen möglicherweise nahe an post-traumatisches Erleben heranführen kann. Und ein eindrückliches Beispiel dafür, was Literatur kann! cn

Klappentext:

Wunder wird es im Nachkriegsjugoslawien tatsächlich keine geben, auch wenn der Kapitalismus sie unablässig verspricht. Bender, der vor dem Bürgerkrieg geflüchtet ist und seitdem in der Fremde lebt, kehrt erstmals in das zerstörte Dorf seiner Kindheit zurück. Sein Vater, der in Kroatien geblieben ist, ruft ihn: Die Mutter ist verschwunden, Bender soll helfen, sie zu finden.

Präzise, lakonisch und mit schwarzem Humor beschreibt Ferčec die Alltagsroutinen und die vergebliche Suche der beiden Männer. Vater und Sohn sind ausserstande, Worte für ihre Traumata und Verluste zu finden, ihre kargen Dialoge scheinen geradewegs aus dem absurden Theater eines Beckett zu stammen. So knapp und untergründig komisch ist selten von der Sinnlosigkeit des Kriegs erzählt worden.

Über die Autorin / über den Autor:

Goran Ferčec ist 1978 in Koprivnica (Kroatien) geboren und lebt in Zagreb und Rijeka. Er ist Theaterautor, Dramaturg und Essayist, für seine Performances und Theaterstücke hat er zahlreiche Preise gewonnen. Seine Werke wurden in Zagreb und Rijeka, aber auch in Leipzig, Bonn und beim steirischen Herbst in Graz aufgeführt. 2015 erscheint seine Essaysammlung Handbuch für Gestern, 2018 seine gesammelten Performancetexte Überstunden. Wunder wird es hier keine geben (Orig. Ovdje ne će biti čuda, 2011) ist sein erster Roman.

Preis: CHF 30.90
Sprache: Deutsch (aus dem Kroatischen von Mascha Dabić)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2021 (2011)
Verlag: Residenz
ISBN: 978-3-7017-1740-8
Masse: 285 S.

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