Mathias Énard

Zone

Ein 500-seitiger innerer Monolog, von einem, der die Welt mit ihren Kriegen, Verraten und Gewalt nicht mehr aushält. Eine assoziative Lebensgeschichte in einem einzigen Satz. Eine Geschichte Europas und des Nahen Ostens, des Krieges und der Gewalt. Der Ich-Erzähler, Francis, ein Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes, ist Sohn einer Kroatin und eines Franzosen, der im Algerienkrieg der Franzosen gekämpft hat. Der Vater seiner Mutter stand den ultra-nationalistischen Ustascha-Kreisen Kroatiens nahe, seine Mutter überlieferte ihm den kroatischen Nationalismus. Als der Krieg in Ex-Jugoslawien ausbrach, ging er als Freiwilliger nach Kroatien und Bosnien. Und er mordete und quälte wie alle anderen auch. Bis er es trotz allem nicht aushielt und nach Venedig abreiste. Auch dort trifft er auf Krieger aus anderen Kriegen, wie auch seinen ganzen weiteren Weg Krieger aus allen möglichen Kriegen säumen werden: in Kairo ein holländischer SS-Soldat; in Valencia ein slowenischer KZ-Mörder ... Überall ist sein Referenzsystem Krieg und Gewalt. Auch in seiner Familiengeschichte: er sammelt Daten über die Verbrechen seines Vaters in Algerien. Neben den Kriegen und der Gewalt, über die er auch in seinen Büchern liest, über die er quer durch die Länder und die Zeit Materialien sammelt und eine umfangreiche Datei an Beweismaterialien anlegt, versucht er sich in der Liebe. Bei Marianne scheitert er, bei Stephanie, die wie er als Spionin arbeitet, ebenso. Jetzt ist er mit dem Koffer voller Daten über Krieg, Verrat und Gewalt unterwegs nach Rom, wo er mit einer neuen Identität und mit einer neuen Frau, der Ikonen malenden Saschka, ein neues Leben beginnen will – nachdem er seinen Koffer voller Gewalt dem Vatikan verkauft hat. Je näher er Rom kommt, desto aussichtsloser scheint sein Plan, desto dürftiger die Chancen auf ein neues, friedliches Leben ...

Énard weiss viel, ist intelligent und hat einen sensiblen Zugang zu den Verwüstungen, die Krieg und Gewalt bei Menschen anrichten können. Eindrücklich, bedrückend, teilweise fast nicht auszuhalten und trotzdem ist dieser atemlose und auch wütende Text überaus lesenswert. cn

Klappentext:

Francis Mirković, alias Yves Deroy, sitzt im Pendolino von Mailand nach Rom, inkognito und erster Klasse reisend, mit einem Koffer voller Dokumente und Fotos – dem "Koffer voller Toten". Er enthält die Listen von Kriegsverbrechern, Waffenhändlern und Terroristen, die Francis als Agent des französischen Geheimdienstes in den Konfliktzonen des Mittelmeerraums zusammengestellt hat und an den Vatikan verkaufen will. Erschöpft von Alkohol und Amphetaminen lässt er seinen Erinnerungen freien Lauf – an die Entsetzlichkeiten des Balkankrieges, an dem er zwei Jahre als Freiwilliger teilnahm, weil er, der Sohn einer kroatischen Emigrantin in Paris, sich dem Ruf Tudjmans nicht hatte entziehen können, an die Freunde, die neben ihm starben, an die Menschen von Algier bis Jerusalem, die er ausspionierte, an die Frauen, die er liebte: Stéphanie, die kein Kind "mit einem Barbaren wie ihm" wollte, oder Saschka, die vielleicht noch in Rom auf ihn wartet. 

In einem einzigen Satz des symphonisch gestalteten inneren Monologs, im Stakkato des Nachtzugs, mäandernd, sich wiederholend, springt der Erzähler von Ereignis zu Ereignis – vom Blutbad der christlichen Phalange in Beirut 1982 zu Mussolinis Nordafrikakrieg, vom Den Haager Kriegsverbrecherprozess zu seinem Vater, der auf französischer Seite im Algerienkrieg folterte –, benennt die Gräuel aus der Geschichte und Gegenwart des Mittelmeers, die sich zu einem Fresko der Gewalt formen. Mit seinem Roman Zone erweist der junge Autor Énard einem Epos über den Krieg Reverenz, das zur Gründungsakte der europäischen Literatur wurde: Homers Ilias.

Über die Autorin / über den Autor:

Mathias Énard, geboren 1972 in Niort (Westfrankreich), Studium der Kunstgeschichte und der Orientalischen Sprachen, lebt, nach längeren Aufenthalten im Nahen Osten, heute in Barcelona, wo er Arabisch lehrt. Für Zone erhielt er in Frankreich 2008 den Prix Décembre und 2009 den Prix du Livre inter, in Deutschland den deutsch-französischen Candide-Preis 2008.

Preis: CHF 20.50
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2012 (2008)
Verlag: Berlin Taschenbuch Verlag
ISBN: 978-3-8333-0800-0
Masse: 588 S.

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