David Albahari

Heute ist Mittwoch

In Heute ist Mittwoch erzählt Albahari eine Familiengeschichte aus der Perspektive eines erwachsenen Sohnes. Im dialogisch aufgebauten Narrativ fokussiert der Sohn auf seine hochambivalente Vaterbeziehung. Der Vater, ein ehemaliger Parteikader, hat die Familie über Jahre tyrannisiert und gequält. Während die Kinder zum frühesten Zeitpunkt aus der elterlichen Wohnung flüchten, bleibt die Mutter zurück und ist den täglichen Attacken ihres Mannes ausgesetzt. Sie erkrankt an Krebs und stirbt einsam in einem Krankenhaus. Der mittlerweile pensionierte Vater bleibt alleine in der Wohnung, seine Kinder sieht er selten. Soweit könnte dies eine Familiengeschichte wie viele andere sein, aber es wäre nicht David Albahari, wenn er der Geschichte nicht eine interessante Wendung geben würde. Als der Vater an Parkinson und Demenz erkrankt, zieht der Sohn zurück in die elterliche Wohnung und betreut den Vater. Das ist nicht einfach, da der Vater die Hilfe ablehnt und störrisch dagegen angeht. Der Sohn, hin und her gerissen zwischen Verachtung und dem Wunsch nach der Nähe des Vaters, versucht dessen Anfeindungen und Störaktionen zu widerstehen. Er entwickelt eine Strategie, die die Leserin des Textes als "Strategie des Spazierengehens" beschreiben würde. Diese kleinen Ausflüge verändern die Beziehung zwischen den beiden Männern. Mit der Zeit gibt der Vater seinen Widerstand auf und beginnt über sich selbst zu reden. Der Sohn versucht den Vater zu verstehen. Dieses Verstehen ist das Herzstück des Textes. Es handelt nicht nur von einer Vater-Sohn-Beziehung, sondern erzählt diese Familiengeschichte gleichzeitig als Geschichte Jugoslawiens nach 1945. 

Es ist der einzigartigen Erzählkunst von David Albahari geschuldet, dass diese Geschichte ohne Schnörkel und in schonungsloser Offenheit erzählt wird. Seine präzise Sprache macht die Lektüre zu einem eindrücklichen Erlebnis. Ändert man den Fokus der Betrachtung, dann kann Andreas Breitenstein von der NZZ zugestimmt werden, der in seiner Rezension von Parkinson als Literatur spricht. Die Beschreibung des langsamen, krankheitsbedingten Verfalls geht unter die Haut und ist etwas ganz Besonderes. Doris Gödl

Klappentext:

"Heute ist Mittwoch" – der Tag, an dem ein Mann seinen älteren, an Parkinson erkrankten Vater zu Untersuchungen begleiten muss. Auf einem ihrer Spaziergänge am Donaukai des Belgrader Vororts Zemun entlang erblickt der bis dahin schweigsame Vater einen Mann, der in ihm böse Erinnerungen weckt, und beginnt aus seinem Leben zu erzählen: Einst gefürchteter Parteiaktivist und Geheimdienstmitarbeiter, hat er Menschen brutol und ohne Skrupel schikaniert. Als sich eines seiner Opfer rächt und ihn als Stalinisten anzeigt, verbannt man ihn in das berüchtigte Arbeitslager auf Goli otok in der Adria, dass er so seinerseits zum Opfer wird, hält ihn später nicht davon ab, seine Familie zu tyrannisieren. Erst die Krankheit macht aus ihm ein Häufchen Elend. Während er den grossspurigen Geschichten seines Vaters lauscht, muss der Sohn entscheiden, wie viel Glauben er ihm schenken kann, ob die Krankheit und das Erlittene ihn von seiner Schuld freisprechen oder nicht.

Heute ist Mittwoch ist der bisher politischste Roman Albaharis über die Gräueltaten des kommunistischen Regimes gegenüber der Bevölkerung und die lange verschwiegenen grausamen Praktiken, die nach 1948 auf der "nackten Insel" herrschten. Zugleich stellt David Albahari mit schwarzem Humor und erzählerischer Raffinesse vermeintliche Wahrheiten über Täter und Opfer infrage.

Und hier die Rezension von Andreas Breitenstein in der NZZ.

Über die Autorin / über den Autor:

David Albahari wurde 1948 in Peć im heutigen Kosovo geboren und ist einer der renommiertesten Schriftsteller Serbiens. 1973 erschien sein erster Erzählungsband, zahlreiche weitere Romane und Erzählungen folgten. Sein Werk ist vielfach ausgezeichnet worden, z.B. mit dem NIN-Preis, dem Andrić-Preis und dem Isidora-Sekulić-Preis (2014). David Albahari lebt in Calgary und Belgrad.

Mirjana und Klaus Wittmann leben in Bonn und übersetzen aus dem Serbischen, Kroatischen und Bosnischen. 2006 erhielten sie für die Übersetzung von David Albaharis Mutterland den Brücke-Berlin-Preis, 2011 wurden sie für ihr übersetzerisches Gesamtwerk mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet.

Preis: CHF 30.90
Sprache: Deutsch (aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2020 (2017)
Verlag: Schöffling
ISBN: 978-3-89561-429-3
Masse: 201 S.

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