Franziska Grillmeier

Die Insel. Ein Bericht vom Ausnahmezustand an den Rändern Europas

Franziska Grillmeiers Bericht ist keine leichte Lektüre. Sie erzählt von ihrem Leben und ihren Begegnungen auf der Insel Lesbos, mit Einheimischen, mit Geflüchteten, mit NGO-Mitarbeiter:innen. Das Bild, das sie geben, ist erschreckend: nicht nur die Lebenssituation der Geflüchteten, auch ihre rechtliche Situation hat sich insbesondere seit 2020 drastisch verschlechert. Ebenso hat sich die Verbindung zwischen der auf der Insel ansässigen Bevölkerung und den Geflüchteten fast vollständig in Luft aufgelöst. Die starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Geflüchteten und die massiven Verbote, Menschen, die mit dem Boot auf der Insel ankommen, zu helfen, haben dazu geführt, dass fast keine Kontakte mehr bestehen. Die Geflüchteten haben so kein Gesicht mehr, sie sind in Lagern weggeschlossen.

Grillmeier erzählt von diesem Prozess, von der europäischen Migrationspolitik der letzten Jahre, von den illegalen Pushbacks an den verschiedenen Grenzen – und bei all dem verliert sie die Mensche nicht aus dem Sinn. Sie haben bei ihr ebenfalls das Wort, erzählen von ihren Odysseen, von ihren Versuchen, sich selber und den anderen gegenüber Mensch zu sein, eine sinnvolle Beschäftigung zu finden. Und sie macht verständlich, welch unglaubliche Traumatisierung es bedeutet, für Erwachsene wie für Kinder, über Monate und Jahre hinweg in einem Lager eingesperrt zu sein, ohne Informationen darüber zu haben, wie es denn nun weitergehen soll.

Beim Lesen des Buches fällt auf, wie wenig von dem, was an Europas Aussengrenzen passiert, wirklich in den Medien verhandelt wird. Als wollte mensch einfach nicht mehr hinsehen. Das Buch reicht einem die Hand dafür, den Blick wieder auf diesen ausgesparten Flecken unserer Realität zu richten. cn

Klappentext:

Die Journalistin Franziska Grillmeier ist 2018 auf die griechische Insel Lesvos gezogen, wo sich zwischenzeitlich das grösste Fluchtlager Europas befand. In ihrem Buch nimmt sie auch die Momente zwischen den Schlagzeilen in den Blick, taucht tief in die Lebenswirklichkeit der geflüchteten Menschen ein und zeigt, wie sie sich nach ihrer Ankunft in Europa erneuten Traumatisierungen widersetzen müssen. Grillmeier bewegt sich in Moria, in der Hafenstadt, im Norden der Insel und reist an weitere europäische Grenzorte, an denen die Systematik der Ausgrenzung ähnlich funktioniert.

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Geflüchteten selbst, die in zahllosen Gesprächen zu Wort kommen und deren Lebenswege erzählt werden. Die Autorin zeigt, was das Lagerleben mit einem Menschen macht – und reflektiert zugleich, wie das Inselleben auf sie selbst zurückwirkt: Während Grillmeier als Beobachterin aus freien Stücken kommen und gehen kann, endet dort für die Geflüchteten die Erzählung des offenen Europas. Auch die Kriminalisierung der humanitären Hilfe, der Abbau der Pressefreiheit, die Überlastung der Inselbewohner:innen und der Zynismus der Politik in Brüssel und Athen spielen eine zentrale Rolle. So zeichnet Grillmeier durch ihre stillen, doch eindringlichen Begegnungen ein erschütterndes Bild der Menschenrechtsverletzungen an den Rändern der Europäischen Union.

Über die Autorin / über den Autor:

Franziska Grillmeier, 1991 in München geboren, berichtet als freie Journalistin von der Insel Lesvos und anderen Grenzorten. Sie schreibt u.a. für Zeit Online, taz, Süddeutsche Zeitung, WDR, Guardian und BBC. Ihre Reisen führten sie immer wieder auch jenseits der europäsichen Ränder. Zuletzt war sie Mitglied des Recherchekollektivs zu den neuen Aufnahmelagern "Das neue Moria" für das ZDF Magazin Royale, Ippen Investigativ und FragDenStaat und Teil des Doku-Podcasts "Memento Moria".

Preis: CHF 32.90
Sprache: Deutsch
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2023
Verlag: C.H. Beck
ISBN: 978-3-406-79938-9
Masse: 220 S.

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