Orhan Pamuk

Cevdet und seine Söhne

Pamuk steht mit diesem ersten Roman, wie er selber sagt, irgendwo zwischen Buddenbrooks und Anna Karenina, allerdings lasse sich aus Cevdets Biographie auch der Lebensweg eines der grossen Industriellen der Türkei (Vehbi Koc) herauslesen. Jedenfalls ergibt dieser Text einen nahtlos zu lesenden, spannenden Erzählbogen, der es dem Leser und der Leserin immer wieder schwer macht, die Lektüre zu verlassen ... Der Roman spannt den Bogen vom Erstarken der Jungtürken über den ersten Präsidenten der Republik nach Atatürk (Inönü) bis hin zu Demirel und dem grassierenden Terror von links und rechts. Beleuchtet werden jeweils immer nur kurze Ausschnitte, die symptomatisch den Zeitgeist wiedergeben und einen tiefen Einblick in die Geschehnisse und das Denken der Menschen (aus der Sicht und Erfahrung des Autors) ermöglichen. Der Leser bewegt sich in der gehobenen Bourgeoisie, die Verbindungen eingegangen ist mit der alten Nomenklatura. Man orientiert sich an Europa oder versucht es zumindest. Teil eins (um 1905) und Teil drei (1970) sind relativ knapp gefasst, der Zeit um 1938 ist das Schwergewicht gegeben. Verständlich, das Buch wäre sonst gut und gerne auf 1'200 Seiten geraten. Was mich allerdings keinesfalls gestört hätte ... Rolf Stalder

Klappentext:

Konstantinopel 1905: Cevdet ist ein traditionstreuer Geschäftsmann, sein Bruder dagegen von den Idealen der Französischen Revolution begeistert, er will Refomen, Cevdet will, dass alles beim Alten bleibt. 30 Jahre später sind Cevdets drei Kinder gross und nichts ist beim Alten geblieben, aus dem Osmanischen Reich ist die Republik Türkei geworden und aus Konstantinopel Istanbul. Die Schrift hat sich von der arabischen in die lateinische gewandelt, die Zeitrechnung hat sich geändert, immer mehr Türken können am Wohlstand teilhaben. Und wieder einige Jahre später sind auch Cevdets Enkelkinder gross, aber ihre Wege verlaufen sich zunehmend, und dann steht die Türkei kurz vor dem Militärputsch 1980. Dieser Roman ist ein grosses Familiendrama, ein grosses sinnliches Vergnügen, ein lehrreicher Roman über die Geschichte der Türkei. Wenn man die heutige Türkei mit ihren Konflikten verstehen will, muss man dieses Buch, Pamuks ersten Roman, lesen.

Über die Autorin / über den Autor:

Orhan Pamuk, 1952 in Istanbul geboren, studierte Architektur und Journalismus und lebte mehrere Jahre in New York. Für seine Romane erhielt er 1990 den Independent Foreign Fiction Award, 1991 den Prix de la découverte européenne, 2003 den International IMPAC Dublin Literary Award, 2005 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und in demselben Jahr den Ricarda-Huch-Pries, 2006 den Nobelpreis für Literatur und 2007 die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin als "Ausnahmeerscheinung der Weltliteratur". In Istanbul hat Orhan Pamuk ein eigenes Museum zu seinem Roman Das Museum der Unschuld eröffnet, das 2014 als Museum des Jahres ausgezeichnet wurde.

Preis: CHF 21.90
Sprache: Deutsch (aus dem Türkischen von Gerhard Meier)
Art: Taschenbuch
Erschienen: 2011 (1982)
Verlag: Fischer Verlag
ISBN: 978-3-596-17764-6
Masse: 666 S.

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