Khaled Alesmael

Selamlik

Ein etwas sperriger Titel für einen Text, in dem mit grosser Kraft über Flucht und Migration erzählt wird. Selamlik, das Wort widersetzt sich dem gewohnten Sprechen, verleiht ihm einen fremden Klang. Es erzeugt eine Befremdung, die zunächst irritiert, das Lesen aber zu einer besonderen Erfahrung macht. Man folgt dem Protagonisten, einem jungen Mann aus Syrien, auf seinen verschlungenen Wegen von einem Dorf in Nordsyrien in eine Kleinstadt in Schweden. Furat, so der Name des jungen Mannes, hat sein Dorf verlassen, um in Aleppo und Damaskus englische Literatur zu studieren. Er arbeitet als Journalist und Radiomoderator und ist Aktivist bei Protesten gegen das Assad-Regime. Das sind biografische Bausteine, wie sie bei vielen Geflüchteten zu finden sind. Und doch ist diese Geschichte anders. Denn Khaled Alesmael erzählt nicht über politische oder religiöse Trennlinien, sondern über das Schwulsein in einer Gesellschaft, in der Homosexualität verboten und nur im Verborgenen gelebt werden kann.

Eindrucksvoll beschreibt der Autor, wie der Protagonist, der starke Ähnlichkeiten zum Autor selbst aufweist, die geheimen Codes und die geheimen Treffpunkte für Schwule in Damaskus und später in Istanbul kennenlernt. Selamlik nennt Khaled Alesmael diese Orte und verweist damit auf jene öffentlichen und auch privaten Bereiche, die den Männern vorbehalten sind. Eindrücklich, kraftvoll und phantasmatisch beschreibt Khaled Alesmael den Weg von Furat, der den Protagonisten seines Buches nach Schweden führt, wo er in der Asylunterkunft auf jene Homophobie trifft, vor der er aus Syrien geflohen ist. Und doch ist etwas anders in dieser Geschichte. Sie ist weder larmoyant noch anklagend, sondern sie zeigt einen Integrationsprozess, den der Protagonist kraft- und humorvoll in Angriff nimmt. Nach seinem positiven Asylbescheid beginnt Furat die schwedische Sprache zu lernen und die vorgeschriebenen Integrationskurse zu besuchen. Voller Staunen über die Offenheit der schwedischen Gesellschaft gegenüber homosexuellen Menschen beginnt Furat sein Schwulsein öffentlich zu leben.

Der Protagonist, und mit ihm der Autor, sind angekommen. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass Alesmael diesen stark autobiografisch gefärbten Text in schwedischer Sprache verfasst hat. Es gelingt dem Autor, die am Beginn angesprochene Befremdung als Spannung über die Dauer der Lektüre aufrecht zu erhalten. In einer dichten, klaren Sprache erzählt Alesmael über Schwulsein, Flucht und Migration. Die verschlungenen Pfade werden über den ständigen Wechsel von Zeitebenen eindrucksvoll eingefangen; die realen Erfahrungen mit kraftvollen Phantasiebildern unterlegt. In diesem Text geht es um das Verborgene, das Alesmael unzensiert zur Sprache bringt. Die Leserin folgt dem Protagonisten/Autor, taucht mit ihm in die verborgenen Welten ein, bleibt aber ein Stück weit ausgeschlossen. Als würde sich die Bedeutung des Titels auch beim Lesen herstellen. Doris Gödl

Klappentext:

Furat ist als eines von sechs Geschwistern in einer gutbürgerlichen Familie in Syrien aufgewachsen. Den Tod von Diktator Hafiz al-Assad erlebt er 2000 im Studentenwohnheim von Damaskus gemeinsam mit der ersten grossen Liebe seines Lebens. Hartnäckig erkundet er die "heimliche Revolution", das verborgene Leben homosexueller Männer in Damaskus, ihre Parks, Saunen und Pornokinos. Der Terror des Bürgerkriegs trifft die Schwulen gleich doppelt: Islamistische Rebellen machen gezielt Jagd auf "die Leute von Lot", stürzen sie von Hochhäusern in den Tod. Als das Haus der Familie in die Schusslinie der Kampftruppen gerät, macht sich Furat auf den Weg nach Norden. Auf der Flucht und im schwedischen Asylantenheim begegnen ihm seine arabischen Landsleute weiterhin mit unverhohlener Homophobie. In seinem Zimmer mit Blick auf den Friedhof von Åseda beginnt Furat, die Geschichte seines Lebens aufzuschreiben.

Über die Autorin / über den Autor:

Khaled Alesmael wurde als Sohn eines syrischen Vaters und einer türkischen Mutter in Deir ez-Zor, Syrien, geboren. Er studierte an der Universität Damaskus englische Literatur und arbeitete als Journalist in verschiedenen Grossstädten Europas und des Nahen Ostens; für die taz in Berlin schrieb er über syrische Flüchtlinge in Deutschland. Seine journalistische Arbeit wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. 2014 beantragte er Asyl in Schweden und lebt dort heute als schwedischer Staatsbürger. Sein Debütroman Selamlik wurde 2018 in Schweden erstveröffentlicht; seine Erzählung "En tygväska med damaskustryck" (Damaskus in einem Stoffbeutel) gewann den Hörbuchpreis des schwedischen Rundfunks 2020.

Preis: CHF 33.90
Sprache: Deutsch (aus dem Schwedischen von Christine Battermann, Joachim Bartholomae)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2020 (2018)
Verlag: Albino
ISBN: 978-3-86300-302-9
Masse: 252 S.

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