Édouard Louis

Anleitung ein anderer zu werden

Auch in Anleitung ein anderer zu werden stellt Édouard Louis sein Leben konsequent der Literatur zur Verfügung. Mit einer schon fast unbarmherzigen Offenheit beschreibt er seine Transformation, um sich von seiner sozialen Herkunft zu lösen, um sich in einem neuen Milieu unauffällig einfügen zu können. Er übt den Akzent der Bourgeoisie, kleidet sich anders, eignet sich die Tischsitten der gehobenen Klasse an, beobachtet seine Gesten, nimmt Gewohnheiten an, die in der bürgerlichen Gesellschaft gepflegt werden. Dies lernt er von Menschen, die ihm nahe stehen, die er liebt – die er aber auch braucht, um diese Transformation zu vollziehen. Dies ist eine der Fragen, die sich durch das Buch ziehen. Hat er die Menschen einfach nur benutzt für seinen eigenen sozialen Aufstieg? Dabei befragt sich Édouard Louis auch selber ohne Nachsicht.

Mit der Beschreibung seiner Transformation wird uns beim Lesen auch wieder klar, wie trennend nach wie vor der Habitus der verschiedenen "Klassen" ist, wie wichtig die ungeschriebenen Gesetze der Tischsitten, der Kleidung, der Gestik sind. Und wie undurchlässig diese Grenzen (nicht nur) in Frankreich sind. In Paris anzukommen, an die angesehenste Universität gehen zu können, im intellektuellen Milieu Eintritt zu finden – all das gelingt Édouard Louis. Wer ist aber nun noch er selber?

Irgendwie liebevoll schliesst sich der Kreis mit Erinnerungen an Szenen seiner Kindheit, an Gerüche, an das Licht, an die Freude, wenn die Mutter das Lieblingsessen auf den Tisch stellte. An das Glück, das es auch in dieser unterprivilegierten Familie in einem abgelegenen Dorf im Norden Frankreichs gegeben hat. Eine eindrückliche Lektüre! cn

Klappentext:

Mit Mitte zwanzig hat er schon mehrere Leben hinter sich: eine Kindheit in extremer Armut, die Scham über die eigene Herkunft, die Flucht vom Dorf in die Kleinstadt, den Aufbruch nach Paris. Er macht sich frei von den Grenzen seiner Herkunft, nimmt einen neuen Namen an, liest und schreibt wie ein Besessener, probiert sich aus, will alle Leben leben. Er trifft sich mit Männern in mondänen Hotels, die in einer Nacht so viel ausgeben wie seine Familie im Dorf in einem ganzen Jahr. Immer neue Welten erschliessen sich ihm.

Mit unbändiger Energie erfindet er sich wieder und wieder, schliesst Freundschaften und hinterfragt doch die radikale Selbstveränderung, die sich nie ganz vollendet. Der Verlust von dem, was hinter ihm liegt, bleibt spürbar. Was kostet es, das Leben in die Hand zu nehmen? Édouard Louis hat ein grosses Buch geschrieben darüber, was man zurücklässt, wenn man bei sich selbst ankommt.

Über die Autorin / über den Autor:

Édouard Louis, geboren 1992, gilt als einer der wichtigsten Autoren der jüngeren Generation. Sein Roman Das Ende von Eddy machte ihn 2015 international bekannt. Er erzählte darin von seiner Kindheit in einem Dorf in Nordfrankreich in prekärsten Verhältnissen. In Anleitung ein anderer zu werden erzählt er davon, wie er die Grenzen seiner Herkunft hinter sich liess. Seine Bücher erscheinen in 35 Sprachen und werden an Bühnen überall auf der Welt fürs Theater adaptiert. Zuletzt erschienen Im Herzen der Gewalt, Wer hat meinen Vater umgebracht sowie Die Freiheit einer Frau. Édouard Louis lebt in Paris.

Sonja Finck, geboren 1978 in Moers, lebt als literarische Übersetzerin in Berlin und Gatineau, Kanada. Sie überträgt unter anderem Annie Ernaux ins Deutsche. 2019 erhielt sie den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis.

Preis: CHF 33.90
Sprache: Deutsch (aus dem Französischen von Sonja Finck)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2022 (2021)
Verlag: Aufbau
ISBN: 978-3-351-03956-1
Masse: 272 S.

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