Giulia Caminito

Das Wasser des Sees ist niemals süss

Verzweifelt sucht Antonia eine sichere Bleibe für ihre Familie – den durch einen Arbeitsunfall gelähmten Ehemann, den aus einer vorehelichen Beziehung stammenden Mariano, die Zwillinge, die noch Babys sind, und der Ich-Erzählerin, deren Namen wir erst ganz am Schluss des Romans erfahren, Gaia. Sie leben in einem halb unterirdischen Raum, alle zusammen, und haben sich durch die radikale Fürsorge Antonias einigermassen organisiert. Denn Antonia findet für alles eine Lösung, packt alles an und leistet Widerstand, wo immer sie kann, mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen. Die anderen Familienmitglieder sind Statisten in Antonias Lebensentwurf. Zu diesem gehört neben einer sicheren Bleibe, die sie endlich in einer Sozialwohnung am Lago di Bracciano findet, die Ausbildung von Gaia. Sie soll studieren, soll diesem Leben entrinnen. 

So wächst Gaia mit einem sehr begrenzten Spielraum auf – weil die Familie nicht über die Mittel verfügt, sich etwas zu leisten, weder Fernsehen, noch Handy, geschweige denn Kleider oder ein richtiges Weihnachtsessen. Das Heranwachsen ist einerseits geprägt von der Scham, nicht zu haben, was die anderen haben, andererseits von einem immensen Rachegefühl, eben all dies nicht zu haben. Diese Wut und der Wunsch, sich dafür zu rächen, erreicht dann ihren Höhepunkt, wenn ihr das genommen wird, das ihr doch eigentlich gehören kann – Freundschaft. Freundinnen und Freundschaft sind die einzige Möglichkeit, der Enge von Antonias Lebensentwurf zu entgehen, sich Geheimnisse zu schaffen, ein eigenes Leben. Wenn diese Freundschaften zerbrechen, zerbricht eine Welt.

Auf eindrückliche Weise und in einer unglaublich bildhaften und lebendigen Sprache malt Caminito diese Jugend am See. Die Sommer in der Freundesgruppe, die Jahrmärkte auf dem Platz vor dem Haus, die Hoffnungen und Träume Heranwachsender breiten sich in all ihren Facetten in der Phantasie der Lesenden aus. Ein eindrückliches und berührendes Buch! cn

Klappentext:

Am Grund des Sees liegt eine versunkene Weihnachtskrippe, sein Wasser schimmert trüb, schmeckt nach Sonnencreme und Benzin. Hier, am Lago di Bracciano, bezieht Gaia mit ihrer Familie eine Sozialwohnung: der Vater, der im Rollstuhl sitzt, der ältere anarchistische Bruder Mariano, die kleinen Zwillinge – und die Mutter Antonia, die so zupackend wie rücksichtslos alles zusammenhält.

Ihre Tochter, blass, sommersprossig, dürr, soll nicht so enden wie sie, Bildung soll der Ausweg für Gaia sein. Doch die erkennt früh, dass Talent und zwanghafter Fleiss nicht ausreichen, um mitzuhalten – wenn man kein liebes Mädchen sein will, den filzstiftgrünen Pullover des Bruders austrägt und sich kein Handy leisten kann. Konfrontiert mit Herabsetzungen, Leistungsdruck und Orientierungslosigkeit verwandelt sich Gaias stumme Verletzlichkeit in masslose Wut, die sie zunehmend Grenzen überschreiten lässt.

Giulia Caminito hat ein sanftes, raues, wundersam reiches Buch geschrieben: über eine Jugend in der Provinz, lächerliche Lieben, grundstürzende Dramen und eine junge Frau, die ihrer Herkunft nicht entkommt. Ein Roman mit einer unverwechselbaren Erzählstimme und Bildern, die haften bleiben wie ungeliebte Spitznamen.

Über die Autorin / über den Autor:

Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter Ein Tag wird kommen (Wagenbach 2020). Das Wasser des Sees ist niemals süss stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den renommierten Premio Campiello und avancierte zum Bestseller in Italien. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Barbara Kleiner, geboren 1952 in Linz/Donau, übersetzt aus dem Französischen und vor allem dem Italienischen, unter anderem Texte von Ippolito Nuevo, Italo Svevo und Davide Longo. 2011 erhielt sie den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis. Sie lebt in München.

Preis: CHF 36.50
Sprache: Deutsch (aus dem Italienischen von Barbara Kleiner)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2022 (2021)
Verlag: Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3349-6
Masse: 315 S.

zurück