Jordi Amat

El hijo del chófer

Was uns Jordi Amat in der krimimässigen Dokumentation El hijo del chófer erzählt, ist kaum zu glauben. Aber da der Autor akribisch recherchiert, jedes Detail sorgfältig geprüft und seine Quellen transparent gemacht hat, muss man annehmen: die Geschichte stimmt. Sensibilisiert nicht erst durch MeToo, blickt man fassungslos in Abgründe von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen, die mit dem Aufstieg und Fall des bekannten, 2016 verstorbenen, katalanischen Journalisten Alfons Quintà verbunden sind. Amat bereitet ein Stück neuerer, katalanischer Geschichte auf; und diese ist wahrlich kein Ruhmesblatt.

Alfons, dessen Leben im Zentrum steht, ist der Sohn von Josep Quintà, der als Chauffeur für Josep Pla arbeitet, dem berühmten Dichter und Sänger Kataloniens. Der 1943 geborene Junge wird früh überall mitgenommen und erfährt so manches, was nicht für Kinderohren bestimmt ist. Das wird er als Erwachsener tüchtig ausschlachten. Zunächst wird er Rechtsanwalt, dann Journalist, macht ab den 1960er Jahren rasant Karriere, schreibt für Le Monde, The New York Times und El País, wird mit dem Aufbau des ersten Regionalfernsehens TV3 in Katalonien beauftragt und begründet 1990 die katalanische, regierungsnahe Tageszeitung El Observadormit. Eine öffentliche Figur mit Rang und Namen also.

Sein Schmiermittel ist es, immer mehr als seine Kolleg:innen zu wissen, Zusammenhänge und Hintergründe besser zu kennen. Sein Beziehungsnetz reicht weit zurück und hoch hinauf, bis zum Regierungschef Jordi Pujol. Als Journalist ellbögelt er sich durch, mauschelt und trickst, manipuliert und benutzt Menschen um ihn herum. Aber er ist auch ein hartnäckiger Rechercheur und guter Schreiber, verfügt somit über journalistische Kernqualitäten. Berühmt wird er mit der Aufdeckung des Skandals um die Banca Catalana, deren Fall er in El País ausbreitet. Politisch ist er allerdings ein Wendehals, der mal für, mal gegen die Zentral- und Lokalregierung anrennt. Und als El País eine katalanische Regionalausgabe mit ihm an der Spitze plant, verstummen seine kritischen Berichte über die Bankaffäre.

Amat hat kein Enthüllungsbuch geschrieben, etliches war schon bekannt, allerdings gehen einem in dieser Kompaktheit Lichter auf. Man blickt hinter dicke Vorhänge, die viel Geschacher verbergen; man setzt sich an Mittagstische mit viel zu viel Alkohol, man wundert sich über die Leidensfähigkeit von Quintàs Kolleg:innen in den Redaktionen, die dem Choleriker und Ränkeschmied kein Paroli zu bieten wagten (und ja, der Voyeurismus fesselt).

Quintà kommt  nicht gerade sympathisch daher, sondern als verwirrt, krank, von Komplexen gepeinigt. Der Leser:innen Mitleid dürfte sich in Grenzen halten. Dafür prahlt er zu sehr: mit seinem Talent, seinen Bekannten, seinen intimen Kenntnissen – und seinen Frauengeschichten, für die man sich beim Lesen zu fremdschämen beginnt.

In Katalonien ist das Buch ein Renner, erreichte innert Kürze mehrere Auflagen in Spanisch und Katalanisch, schaffte es, auch ein Gradmesser, bis in die kleinen Kioske, die sonst Zeitungen und bunte Heftli verkaufen. Das mag damit zu tun haben, dass Amats Buch auch eine Abrechnung mit Jordi Pujol ist, dem gefühlt immer schon Präsidenten von Katalonien (in echt aber von 1980-2003). Pujol wird heute noch von vielen als Landesvater verehrt. Aber so weiss ist seine Weste nicht. Während seiner Amtszeit dirigierte er in leitender Position auch Geschäfte der Banca Catalana, und als deren Ende nahte, griff er schnell nochmals kräftig in die Kassen (während unzählige Kleinsparer durch den Verlust ihres Bankkontos ins Elend stürzten). Als das ruchbar wurde, drehte Pujol so genial wie frech die Sache um und schob die Schuld am Bankencrash der Zentralregierung in die Schuhe. Das Volk in Katalonien nahm ihm das – ab!

Pujol gehört zu jenen Einflussreichen, die den Katalanismus beschworen und das Bild des bösen, moralisch verrotteten Spaniens mit kräftigen Farben ausgemalt haben. Das haftet! Heute ruft die Hälfte der Bevölkerung Kataloniens nach Unabhängigkeit, weil sie sich moralisch erhaben fühlt über den Rest des Landes. Amat lehrt das Gegenteil!

Das Ende ist furchtbar: 2016 erschiesst Quintà seine von ihm getrennt lebende Frau und bringt sich danach selber um. Maya Doetzkies

Klappentext:

En la Cataluña donde Jordi Pujol ganaba una tras otra las elecciones y los medios construían la imagen de un oasis libre de corruptelas, la trayectoria del periodista y abogado Alfons Quintà (1943-2016) – literariamente reconstruida aquí por Jordi Amat – refleja una perversa encrucijada de asedio y poder, dinero y tráfico de influencias. Crecido a la sombra de Josep Pla y periodista de gran prestigio durante la Transición, a lo largo de los años, gracias a su conocimiento de las cloacas del poder político y financiero, Quintà – artista consumado del chantaje, el acoso y la manipulación – desarrolló una prestigiosa carrera mediática, llena, a la vez, de claroscuros inquietantes. Fue el primer delegado en Cataluña del diario El País, desde donde destapó el caso Banca Catalana; fue el primer director de la televisión autonómica catalana (nombrado por cuanto sabía de la trastienda del poder, según propia confesión); creó asimismo El Observador, un medio afín al gobierno convergente, cuya hegemonía terminó despreciando profundamente; y acabó sus días, sin apenas ser leído, denunciando los recortes en sanidad y la deriva del Procés. El trágico colofón a esta trayectoria se producía en diciembre de 2016: Alfons Quintà, enfermo, asesinaba de un disparo a su expareja y a continuación se suicidaba.

Über die Autorin / über den Autor:

Jordi Amat (Barcelona, 1978) es filólogo y escritor. Especializado en las relaciones entre cultura y política a lo largo del siglo XX, ha publicado, entre otras, las biografías de Ramon Trias Fargas Els laberints de la llibertat (Premio Gaziel de Biografías y Memorias) y de Josep Benet Com una pàtria (Premio Octavi Pellissa), y los ensayos Las voces del diálogo, El llarg procés y La primavera de Múnich (Premio Comillas). Es colaborador de La Vanguardia.

Preis: CHF 29.50
Sprache: Spanisch
Art: Broschiertes Buch
Erschienen: 2020
Verlag: Tusquets
ISBN: 978-84-9066-871-9
Masse: 252 S.

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