Cristina Morales

Leichte Sprache

Dieser Roman lässt keinen Stein auf dem anderen! Die Geschichte spielt hauptsächlich im Jahr 2018, im durch die Hypothekarkrise erschütterten Barcelona. Der Text fordert die Leser:innen nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund seiner Vielstimmigkeit mit ungewohnten Perspektiven heraus. So kommen abwechselnd die vier miteinander verwandten Protagonistinnen, die aus diversen Gründen von ihren Familien und dem Staat als geistig beeinträchtigt eingestuft worden waren, zu Wort, und dies in unterschiedlichen Textformaten: Die sprechsüchtige Patricia tritt in den Aussageprotokollen als Zeugin vor Gericht auf (es geht dabei darum, ob ihre Cousine Marga sterilisiert werden darf), die Analphabetin Marga (Margarita), alias Gari Goray, spricht in den Hausbesetzungsprotokollen zu uns, während sich die stotternde Àngels mittels ihres auf dem Handy in einfacher Sprache verfassten Roman mitteilt, und die tanzende Nati als die klassische Erzählende auftritt, in deren Text auch die anderen drei Frauen immer wieder zitiert werden.

Sie alle versuchen sich durch die emanzipatorische Selbstvertretung aus den Klammern der Bevormundung zu befreien. Jede auf ihre Art. Von Anfang an beunruhigt der Roman. Irgendwie kommt mensch nicht umhin, sehr schnell zu hinterfragen, ob die vier Frauen tatsächlich eine kognitive Einschränkung haben, oder ob die Bevormundung eher der Ausdruck einer restriktiven Sozialpolitik ist, die ein sehr enges Verhaltenskorsett schnürt und sich monetär für unterschiedlichste Parteien auszahlt. Es ist kein weinerlicher, trauriger Roman, sondern kämpferisch und laut. Er hinterfragt Normen humorvoll und frech. Ein erfreulicher Roman! Unbedingt lesen! ap

Klappentext:

Leichte Sprache erzählt die Geschichte von vier Frauen, die mit der Diagnose einer geistigen Behinderung in einer betreuten Wohnung im gentrifizierten Barcelona leben. Nati beschreibt ihre Symptomatik als "Schiebetüren-Syndrom": Unter Druck verändert sich ihr Verhältnis zur Umwelt. Alle vier haben Lernschwierigkeiten. Marga ist Analphabetin und sexuell überaus aktiv, Àngels stottert, Patri hat Logorrhö. In integrativen Tanzgruppen und in der Hausbesetzerszene Barcelonas versuchen die Frauen, sich von der Bevormundung durch staatliche Einrichtungen und Justiz zu befreien und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. So scharfsinnig wie wütend demaskiert die Tänzerin Nati die Ideologie der nach den Vorstellungen der "neoliberalen Macho-Faschos" funktionierenden Gesellschaft, ihre Cousine Àngels entdeckt mit "leichter Sprache" ein Instrument der Teilhabe und verfasst ihre Lebensgeschichte auf WhatsApp mit erstaunlicher Poesie.

Vielstimmig erzählt Cristina Morales vom Leben dieser Frauen und montiert dabei Gerichtsakten, Protokolle der anarchistischen Okupas und ein Fanzine zu einem grossen Roman.

Über die Autorin / über den Autor:

Cristina Morales, 1985 in Granada geboren, studierte Rechts- und Politikwissenschaften und arbeitet als juristische Dolmetscherin in Barcelona. Sie ist Mitglied der zeitgenössischen Tanzkompanie Iniciativa Sexual Femenina. Morales verfasste mehrere preisgekrönte Romane und Kurzgeschichten und gilt als eine der besten Nachwuchsautor:innen Spaniens. Leichte Sprache wurde mit dem prestigeträchtigen Premio Herralde de Novela ausgezeichnet, 2019 gewann Morales als jüngste Autorin den Premio Nacional de Narrativa des spanischen Kulturministeriums.

Preis: CHF 35.90
Sprache: Deutsch (aus dem Spanischen von Friederike Criegern)
Art: Gebundenes Buch
Erschienen: 2022
Verlag: Matthes & Seitz
ISBN: 978-3-7518-0066-2
Masse: 409 S.

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